TEXTSAMMLUNG
Das fragment des monats
ausgabe (039)/39//2024/ fdm/24.039/ märz/2024

Arbeit macht frei - ein missbrauchtes zitat.

    Der satz: arbeit macht frei,(a) ist politisch vergiftet - mit einem doppelten effekt. Der eine effekt ist, dass mit dem verweis auf die historia(b) der satz problemlos entsorgt wird. Der zweite effekt ist, dass mit dem verweis auf die historia versucht werden kann, das aufklärerische moment des satzes zu unterdrücken, mit dem ziel, die realität der gesellschaft so zu belassen, dass der mächtige wie bisher die arbeitskraft des ohnmächtigen zu lasten des schwachen und zum eigenen nutzen ausbeuten kann(c).

    Über den zynismus der NS-schergen sollte das notwendige bereits gesagt sein. Die tötung(=vernichtung) von menschen durch arbeitszwang ist kein argument, das im diskurs über den begriff: arbeit, in betracht gezogen werden kann. In dieser perspektive aber ist es notwendig, den faktor: zynismus, nicht aus den blick zu verlieren, weil es immer wieder individuen geben wird, die, das ich sein wollend, immer wieder versuchen werden, die arbeitskraft des genossen auszubeuten, unter einschluss der möglichkeit der vernichtung des arbeitenden menschen.

    Den zweiten effekt des missbrauchten zitats zu reflektieren ist verwickelter, weil mit den dokumenten der historia ausweisbar ist, dass die ausbeutung des menschen durch den menschen ein faktum ist. Die sklaverei war in alter zeit das vertraute phänomen unmittelbarer ausbeutung, in der moderne ist es der arbeitsvertrag, der, eingebettet im horizont des rechtsstaats, gebraucht wird die arbeit des am markt schächeren auszubeuten(d). Das, was im fortgang der historia verändert wurde, das sind die formen der ausbeutung der arbeitskraft des einen durch einen anderen. Nur scheinbar hat die moderne einen fortschritt gebracht, allein die phänomene der ausbeutung sind subtiler geworden. Es sind die cleveren im markt, die, gelistet in den übersichten von finanzzeitschriften, den ertrag der arbeit anderer zum eigenen nutzen mit gewalt mittelbar und auch unmittelbar abgreifen.

    Im prozess der geschichte, manifest geworden in der europäischen aufklärung, ist die idee entstanden, dass der freie mensch mit seiner arbeit den wohlstand aller in der gemeinschaft sichert(e). Diese leistung ist fundiert in der idee: autonomie des ich. Das individuum als ich ist autonom, sich zu entscheiden für das eine gegen das andere oder das andere gegen das eine, mit seiner entscheidung sich absolut an seine entscheidung bindend. In dieser autonomie des ich ist verortet, dass das individuum als ich im sinn der bürgerlichen freiheiten frei sein muss, wenn es seine existenz realisiert(f), und das, was die realisierung seiner existenz ist, das definiere Ich als die arbeit, die jedes individuum als ich im vollzug seiner existenz leistet. Das ist die arbeit, die den menschen frei macht, die arbeit, die dem individuum als ich und seinem genossen die mittel schafft, mit denen der genosse und das individuum als ich ihre existenz gestalten, jeder für sich in der gemeinsam geteilten welt, gebunden in ihren bürgerlichen freiheiten, die sie sich wechselseitig zugestehen. Mit ihrer arbeit, eingebunden in ihrer lebenstätigkeit, sichern das individuum als ich und sein genosse ihre dinge der welt, die notwendig sind, wenn sie im leben behaupten wollen, sich selbst als mitglieder ihrer gesellschaft und/oder als bürger ihres staates verstehend(g).

    Die realität in den gesellschaften sieht anders aus. Der traditionale arbeitsbegriff ist auf die ausbeutung der arbeitskraft des einen durch den je anderen ausgelegt. War es in alter zeit die sklaverei gewesen, so war es im mittelalter die ständische gesellschaft, und in der moderne ist es der markt. Im markt ist die macht das momentum, mit dem einerseits die ungleichheit der menschen behauptet wurde und behauptet wird, andererseits ist es die reale macht, die die legalisierung der aneignung der arbeitsleistung des ohnmächtigen durch den mächtigen faktisch verstetigt. Die freiheit der wenigen, die sich alles leisten zu können - scheinbar, ist in der unfreiheit der vielen gespiegelt, denen nur die reproduktion der arbeitsleistung zugestanden wird(h). Im spektrum dieser möglichkeiten ist das lemma: arbeit macht frei, eine politische forderung, deren einlösung dem arbeitenden menschen, ausweislich der dokumente der historia, durch die machthabenden verweigert wird.
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(a)
in varianten ist das zitat weit verbreitet, so heisst es im "Zoozmann": Arbeit macht die Völker frei"(Heinrich Seidel, Hymne der Arbeit)(01).
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(01)   Zoozmann,Richard: Zitatenschatz der Weltliteratur. 1960 (ausgabe: Bertelsmann Lesering).   (a)<==// 
(b)
die NS-schergen hatten den spruch über der Toreinfahrt zum KZ-Auschwitz angebracht(01).
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(01)   darüber informiert Wikipedia mit dem eintrag: arbeit macht frei, download: 01.11.2023.   (b)<==// 
(c)
die sklaverei ist das schiboleth der gesamten menschheitsgeschichte und die moderne steht keineswegs im schatten der antike. Die differenz zwischen der neuen und der alten sklaverei ist verortet in der beobachtung, dass in der moderne die formen der ausbeutung imfamer sind als es jemals die nackte gewalt als signum der historischen sklaverei gewesen war.   (c)<==//  
(d)
man sagt, die alte sklaverei sei abgeschafft, de facto aber wirkt die ausbeutung des menschen durch den menschen in der moderne unmittelbar weiter fort, allein die formen der ausbeutung sind subtiler geworden und werden als recht getarnt. Das, was in alter zeit die unmittelbare gewalt gewesen war, das wird heute mit dem rechtsinstitut: arbeitsvertrag, bewerkstelligt, zu dem der bürger auf dem markt der arbeit genötigt ist. In seiner struktur ist der markt, auf dem die arbeitskraft der menschen wie ein beliebiger konsumartikel gehandelt wird, nicht von dem handelsplatz zu unterscheiden, auf dem die sklaven verkauft und gekauft wurden. Das wäre anders, wenn die bedingungen des tauschens der güter, für alle, die es betrifft, gleich wären - davon kann, wenn über die märkte der moderne gestritten wird, keine rede sein, pars pro toto, die sogenannten finanzmärkte, auf dem der 1000€ starke, den 100€ schwachen einfach einsackt.   (d)<==// 
(e)
in den dokumenten der historia ist die verknüpfung von arbeit und freiheit seit der antike belegt(01). Es war Hegel, der den begriff: freiheit, mit dem begriff: gott, verknüpft hat und sagte: "es ist damit die Freiheit des Bewußtseins in Gott gesetzt, der Mensch ist darin bei sich selbst. (...) sein Bewußtsein ist in Gott frei"(02). Karl Marx hatte in seiner kritik am Hegel'schen idealismus den bezug zu gott gestrichen und definiert die arbeit als einen "Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert"(03). Ich sage, das die autonomie des individuums als ich die bedingung ist, die mit der lebenstätigkeit des menschen in den phänomenen der arbeit manifest wird. Frei ist diese lebenstätigkeit als arbeit in der perspektive des individuums als ich, aber, in der perspektive auf den genossen, erweitert: die gesellschaft, erscheint die freiheit des einen als die verneinung der freiheit des je anderen. Das ist der horizont, den Karl Marx mit dem terminus: entfremdung der arbeit, bezeichnet(04). Real ist die entfremdete arbeit und, in den phänomenen entfremdeter arbeit ist der satz: arbeit macht frei, der sirenenklang ausstehender humanität. 
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(01)   Wikipedia, stichwort: Arbeit(Philosophie),download: 11.07.2023.
(02)   Hegel,G.W.F.: Vorlesungen über die Philosophie der Religion, in: Werke in zwanzig Bänden. 1969. Bd.17,p.45.
(03)   Marx,Karl: Das Kapital, 5.kapitel(anfang). (Ausgabe: H.-J.Lieber, Darmstadt: 1962, Bd.IV,p.177)
(04)
Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte(=Pariser Manuskripte,1844) (Ausgabe: H.J.Lieber, Bd.1, p.559-575).   (e)<==// 
(f)
der begriff: die freiheit, das schiboleth der bürgerlichen philosophen, ist eine fata morgana. "Die" freiheit gibt es nicht, aber es gibt die freiheit in den formen der bürgerlichen freiheiten. In seiner autonomie ist das individuum als ich absolut frei, aber, wenn das individuum als ich sich in seinem forum internum entschieden hat, dann ist diese entscheidung für das individuum als ich, in der entscheidung sich selbst bindend, eine gebundene(=begrenzte) freiheit, die auf dem forum publicum in den phänomenen der bürgerlichen freiheiten(immer im plural) dem genossen und dem individuum als ich präsent ist. In den formen des rechts ist das maass der bürgerlichen freiheiten festgelegt. D'accord, die rechtswirklichkeit bietet weltweit keinen grund für die behauptung, der bürger könne sich frei fühlen.   (f)<==// 
(g)
eigentum an einem ding der welt kann das individuum als ich, sein genosse eingeschlossen, nur durch arbeit erlangen. Davon ist strikt zu unterscheiden der besitz eines weltdinges, sei der besitz faktisch begründet oder rechtlich(01). Dem arbeitenden menschen wird sein eigentum streitig gemacht in den formen des privateigentums, dessen besitz entweder rechtlich begründet ist oder faktisch realisiert wird, unmittelbar wurzelnd in der gewalt, mittelbar im recht.
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(01)
Richter,Ulrich: Die begriffe: eigentum und besitz, im trialektischen modus. Reflexionen im anschluss an Hegel über das eigentum des individuums als ich und die phänomene des besitzes in der (sogenannten) moderne. Text und subtext. (2010/2010). //==>  homepage: www.ur-philosoph.de //==> bibliographie //==> 016:eigentum.   (g)<==// 
(h)
die verknüpfung: freiheit/unfreiheit, ist unter den phänomenen der unfreiheit und den phänomenen der freiheit auf einer skala mit den endpunkten: -1 und +1, lückenlos darstellbar, auf der skala eingeschlossen der punkt: 0, als transitorischen wendepunkt, entweder in richtung: freiheit, oder in richtung: unfreiheit.   (h)<==//    
finis
 
stand: 24.04.01.
eingestellt: 24.03.01.
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